Wenn es ein Indiz dafür gibt, im wirklich letzten Paradies der Erde gelandet zu sein, was wäre es? Die traumhaften Strände? Das gute Essen? Die lockeren Leute? Fast: Es ist der beschwerliche Weg. Wer nach São Tomé und Príncipe will, einem Zwergstaat mitten im Golf von Guinea, 200 Kilometer südlich von Nigeria, sitzt zunächst einmal acht Stunden im Flugzeug. Nicht in einer Boeing 747, sondern einem kleinen A320, wie er auch zwischen Berlin nach München verkehrt. Von Lissabon geht es erst nach Accra zum Tanken und dann weiter nach São Tomé. Das Land ist nach den Seychellen das zweitkleinste Afrikas. Gerade mal 30000 Touristen begrüßt die kleine Inselnation am Äquator im Jahr, das sind weniger als Afghanistan.
„Eigentlich schade“, sagt João Conceição. „Aber man könnte auch sagen: Was für ein Glück!“ Der 33-Jährige ist stellvertretender Manager der „Roça Sundy“, einem kleinen Boutique-Hotel mit 15 Zimmern auf Príncipe. Die kleine Schwester von São Tomé hat 8500 Einwohner und ist gerade mal halb so groß wie München. In der Hauptstadt Santo António gibt es nur wenige Straßen, von den prächtigen Kirchen und Kolonialhäusern mit ihren liebevoll gepflegten Vorgärten blättert die Farbe ab, hinter den Häusern ragt ein Felsgebirge in den Himmel. „Ich glaube, unser Land wurde von Gott gesegnet. Schauen Sie sich nur mal um! Wie erklären Sie das einem, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat?“
Auf Príncipe geht der tropische Regenwald nahtlos in goldene Sandstrände über, das Wasser hat durchgängig mindestens 26 Grad. Die Insel ist so vielfältig wie ein kleiner Planet: Es gibt mehr endemische Vogel- und Schmetterlingsarten als auf den Galapagos-Inseln, bei jedem Besuch entdecken Forscher neue Arten. Straßen wirken auf Príncipe eher wie Tunnel durch den Urwald. Nirgendwo liegen Jurassic Park und Karibik so nah wie hier. Und doch sind die Inseln ein echter Geheimtipp. Nicht mal die Portugiesen, die die Insel während ihrer 400 Jahre währenden Kolonialherrschaft zu einem Umschlagplatz für Sklavenhandel machten, kennen sie.
Die „Roça Sundy“ war früher das Herz einer großen Kakaoplantage, mehr als tausend Menschen arbeiteten hier. Das feudale Gutshaus wurde damals von der portugiesischen Königsfamilie bewohnt. „Wir haben versucht, alles möglichst originalgetreu zu erhalten: Die Azulejo-Fliesen, die große Holztreppe, die getäfelten Decken“, sagt Conceição. Während der Kolonialzeit, erzählt er, sei São Tomé und Príncipe der größten Kakaoproduzent der Welt gewesen. Als die portugiesische Krone das Land 1975 in die Unabhängigkeit entließ, wanderte die Produktion an die Elfenbeinküste und Ghana ab. Ihre Landwirtschaftsbetriebe, die Roças, ließen die Portugiesen einfach liegen.
Dass man in der „Roça Sundy“ heute logieren kann, haben Touristen dem südafrikanischen Unternehmer Mark Shuttleworth zu verdanken. Auf Príncipe nennen sie ihn ehrfürchtig den „Mann vom Mond“, weil der Multimillionär sich 2002 als erster Afrikaner überhaupt in einer Sojus-Kapsel ins All katapultieren ließ. Der Legende nach entdeckte er aus dem Fenster der ISS dieses Juwel im Atlantik. 2011 begann er, Teile der Insel zu pachten: Neben dem „Roça Sundy“ betreibt Shuttleworth noch zwei andere Hotels, das einfache Strandhotel „Bom Bom“ im Norden und das luxuriösere „Sundy Praia“, ein Resort mit 15 Zeltvillen im Schatten mächtiger Oka- und Mandelbäume.
Gut hundert Millionen Euro hat der Unternehmer bislang in den Ökotourismus investiert. Das kann man gut finden oder schlecht, Fakt ist aber: Mit seinem Engagement kam er einem Agrarkonzern zuvor, der große Teile der Insel zugunsten von Palmölplantagen roden wollte. Stattdessen herrscht auf Príncipe nun Tourismus mit Augenmaß, sanfte Eingriffe in die Natur, alles ist rückbaubar. Shuttleworths Firma HBD ist der größte Arbeitgeber auf Príncipe, denn fast alle Mitarbeiter sind Einheimische. Das Unternehmen unterstützt Schulen und landwirtschaftliche Kooperativen und schafft Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Die Versorgung seiner Hotels hat HBD weitgehend autark organisiert: Den Fisch liefern kleine Fischer, der Rest kommt vom Markt oder der „Roça Paciência“, einer wiederbelebten Plantage im Herzen des Regenwaldes. Hier werden Bauern in ökologischer Landwirtschaft geschult, es wächst Kaffee, Pfeffer, wilder Koriander. „Fast all unsere Lebensmittel kommen von hier“, sagt Tatiana Filipa, die flinken Schrittes durch die Plantage führt. Auf alten Darren trocknen Frauen Ananasscheiben, in der Luft liegt der süßliche Duft von Ylang Ylang. „Hier in der Nähe soll eine Plantage für Chanel sein“, erzählt sie, „rein kommt man da leider nicht.“
Dafür öffnet Claudio Corallo seine Pforten. Seine Plantage liegt etwas weiter südlich auf einem Plateau, das die steilen Waldhänge überblickt. Der Florentiner lebt seit mehr als 25 Jahren hier, vorher baute er Kaffee in Zaire an. Als die Kriegswirren dort immer wildere Blüten trieben, kam er nach Príncipe – und fand zum Kakao. Der findet im tropischen Klima und den fruchtbaren Böden der Insel ideale Bedingungen. „Ich mag eigentlich keine Schokolade“, sagt Corallo, „weil Schokolade meistens bitter schmeckt“. Er bricht ein Stück ab und reicht es zur Verkostung. Welch ein Aroma! Leicht süßlich, nicht bitter. „Das ist hundert Prozent Kakao. Kein Zucker, keine Zusätze.“ Wer Bitterkeit für ein Qualitätsmerkmal halte, sagt Corallo, habe noch nie gute Schokolade gegessen.
Seine Schokolade wird unter Kennern als eine der besten der Welt gehandelt. Die Sorte, die der 70-Jährige auf seiner Plantage Terreiro Velho anbaut, heißt „Forastero“. Fregatten der portugiesischen Krone brachten sie vor 200 Jahren von Brasilien nach Afrika. Seine Pflanzen mit den goldgelben Früchten sind zwar nicht so ertragreich wie hochgezüchtete Hybriden, ihr Aroma ist dafür umso intensiver. Mehr als zwei Wochen lässt Corallo die Bohnen an der Luft trocknen; ein Luxus, wenn man bedenkt, dass es sonst nur wenige Stunden sind. Vor dem Rösten entfernt er aus den Bohnen die Keimlinge; ein Aufwand, den sich nur wenige machen. Manche Sorten verfeinert er mit Ingwer, Kaffee oder Pfeffer und verkauft sie an Feinkostgeschäfte in der ganzen Welt.
So geht es am Nachmittag mit dem Boot hinaus, vorbei an kleinen Fischerdörfern und leuchtenden Stränden. In einer Bucht im Norden unter den hohen bewaldeten Klippen versteckt sich ein besonderes Juwel: der „Praia Banana“. Wie eine kleine, goldene Sichel liegt er da am kristallklaren Meer, über dem Sand wiegen sich Hunderte Kokospalmen. „Das ist der Strand, an dem Bacardi in den Neunzigern seine Werbespots drehte“, sagt Tatiana Filipa. Am Strand, der mittlerweile zum Hotel „Belo Monte“ gehört, ist keine Menschenseele. An den anderen übrigens auch nicht. Wer hier Spuren im Sand sieht, tritt entweder in seine eigenen Fußstapfen oder ist einer Meeresschildkröte auf der Spur, die im Schutz der Dunkelheit ihre Eier abgelegt hat.
Wie lange Príncipe diese Unberührtheit bleibt, wird sich zeigen. Auch wenn die Touristenzahlen beständig steigen: Eilig hat es hier auf der Schokoladeninsel niemand. Das Motto des Landes heißt nicht umsonst „Leve, leve“: immer mit der Ruhe.